Turnierbericht Oslo Chess Festival (30.9 – 6.10.2016)

(von Marcus Budzyn)

Vorwort

Der folgende Text entstammt Beiträgen, welche ich jeweils nach Abschluss einer Runde auf Facebook veröffentlicht habe. Die Sprache ist entsprechend flapsig und geprägt von den Emotionen des Augenblicks.

Das Turnier

Im letzten Jahr nahm ich zusammen mit Andreas am Vienna Chess Open teil. In diesem Jahr war die Teilnahme an dem Wiener Open für mich aus zeitlichen Gründen nicht möglich – also suchte ich für den September eine neue schachliche Herausforderung.
In einer Liste von nationalen und internationalen Turnieren fand ich schließlich das „Oslo Chess Festival“, welches vom 30.09 bis zum 7.10 stattfinden sollte.
Die Webseite http://oslochessfestival.no sah modern und vertrauenswürdig aus und es gab auch eine Facebook-Seite mit regelmässigen aktualisierten Meldungen. Schaut gut aus, die Planung konnte beginnen.

Die Unterbringung war am Spielort im Tagungshotel Scandic Fornebu möglich. Für Teilnehmer am Turnier gab es hier ein Sonderangebot für 990 NOK (etwa 110 EUR) pro Nacht (Einzelzimmer) inklusive Frühstück, Mittagessen und Abendessen, also das sogenannte „full board. Nicht zu verwechseln mit einem vollen Schachbrett.
Für norwegische Verhältnisse ist dies als Schnäppchen zu betrachten – Beispiel: Das Sushi in einem Einkaufszentrum am ersten Tag kostete ca. 40 EUR (pro Person).

Mit der Anmeldung am Turnier (hier hatte ich nach technischen Schwierigkeiten sehr netten Kontakt mit dem Veranstalter), der Organisation des Flugs (200 EUR inkl. 30kg Gepäck bei der Lufthansa) waren alle notwendigen Schritte getan.

Oslo, Norwegen, Geburtsland des Weltmeisters Magnus Carlsen, ich komme!

Nach einem kurzen Gespräch mit der Kundenberaterin meiner Bank sah ich davon ab, hier in Deutschland Geld zu wechseln. Stattdessen hob ich in Oslo etwas Geld ab, die Hauptarbeit sollte während des Aufenthalters aber die Kreditkarte leisten.

Einen Tag vor Turnierbeginn reiste ich an, um stressfrei die erste Runde beginnen zu können und mich an Land, Leute und das Essen gewöhnen zu können.

1. Runde

Angefangen hat die Runde etwas später als die angegebenen 17:00 Uhr. Gespielt wurde in zwei Räumen, einem geräumigen Hauptsaal und einem kleineren Saal eine Etage höher (mit sensationeller Aussicht auf das Fjord).

Ich wurde gegen eine (wie ich dachte total junge) Norwegerin mit einer ELO-Zahl um 1430 gelost. Die Partie verlief zu meinen Gunsten, weil Ida mehrere taktische Schläge übersah und in schneller Folge diverse Figuren verlor. Sie spielte munter weiter, bis sie die dritte Figur (diesmal einen Turm) abgeben musste.

Natürlich googelt man seine Gegner nach der Partie – und siehe da, Ida ist Jahrgang 1988, also doch nicht so wirklich jung. Und eine Pokerspielerin ist sie auch, wenn ich auch den norwegischen Pressebericht nicht vollständig verstehen konnte.
Morgen geht es dann gegen einen norwegischen Fidemeister (>2300ELO) aus dem gleichen Verein wie Ida.
Ich denke es wird eine anständige Abreibung für mich und meine sanfte Schachseele geben. Und nun Partien heraussuchen, damit ich vielleicht doch eine anständige Figur gegen el maestro abgebe. „Kovachev“ heißt der Gute. Klingt total norwegisch, oder? 
 

2. Runde

Tja, so ein Fidemeister kann einfach gut Schach spielen. 24 Züge lang war die Stellung eigentlich ganz in Ordnung (zugegeben: recht gedrückt mit etwas gekünstelter Aufstellung auf der siebten Reihe…), dann habe ich unter Inkaufnahme einer Schwäche in der Königsstellung versucht, den König zu retten. Klingt paradox? Ja, es hat ja am Ende auch nicht funktioniert 🙂 Auf der chess24-Seite stimmen übrigens die Partien nicht, da werden die Partien den falschen Spielern zugeordnet. Jetzt wird es wieder einen leichteren Gegner geben. Oder so einen unterbewerteten Jugendlichen. Im Schachboom-Land-Norwegen spielt gefühlt jeder Jugendliche Schach. Oweia!

3. Runde

Wie die launische Schachgöttin so ist – mir wurde ein 11jähriger Gegner zugelost. Nun sollte man wissen – Jugendliche verbessern sich recht schnell und die Wertungszahl (ELO) meines Gegners von 1670 könnte auch heißen: besser als 1900.
Andreas (von sehr zarter Gestalt, das Armdrückduell würde ich also wahrscheinlich gewinnen. Mist, falscher Wettkampf) kam schlecht aus der Eröffnung und ich konnte 45 Züge lang die Stellung total dominieren. Null Gegenspiel. Wirklich kein Gegenspiel erkennbar. Er sah auch nicht glücklich aus, zeigte für einen 11jährigen aber ein bemerkenswertes Pokerface.
Als ich dann alle Figuren schön gestellt hatte und mein Tageswerk zufrieden ansah, wurde es nach meiner Meinung Zeit für die finale Abwicklung zum Sieg. Und siehe da, eine Kombination gesehen, Turmopfer, zack, da geht doch der Bauer zur Dame, perfekt. Noch einmal durchgerechnet, ja, alles korrekt. Das Ding gespielt und was passiert? Er nimmt den Turm und anschließend den Bauern statt die Damen zu tauschen. Eeek, da haben meine mangelhaften Rechenkünste ein Loch in die Kombination gefressen, der Bauer war nicht gedeckt..
Mit einer Qualität weniger war es dann wahrscheinlich verloren, ich konnte ihm allerdings noch Bauern abknöpfen, die dann im Tandem munter ins Ziel einlaufen wollten. Zwischenzeitlich tauchte an unserem Brett öfter ein Mann auf und schaute interessiert auf die Stellung – wie sich nachher herausstellte, war der mysteriöse Kiebitz der Vater von Andreas.
Irgendwo bei Zug 74 stellte Andreas dann leider seinen König und Turm in einer Diagonale auf und mein Läufer konnte den Turm wegfrühstücken.
Gewonnen, Glück gehabt – mit mehr Zeit auf der Uhr hätte ich mir mit der Abwicklung mehr Zeit nehmen sollen, aber ich war mir soooo sicher mit der Validität dieser Kombination.
Morgen sind dann 2 Runden an einem Tag zu spielen. Das Oslo-Sightseeing wird weiterhin verschoben. Ist aber auch wie im Sanatorium hier, aufstehen, essen, spazieren gehen, Schach spielen (=Therapie), dann wieder essen, schlafen, … und auf den Fjord schauen.

4. Runde

Das alte Schweizer System führt oft zu dem Muster: Guter Gegner / schlechter Gegner im Wechsel. Da die Farbe i. d. R. jede Runde wechselt, hat man also entweder gegen die Guten immer die weißen oder immer die schwarzen Steine. Meine guten Gegner haben derzeit immer Weiß. Und so auch heute mit dem 16jährigen. Auch er recht zartbesaitet und schmal. Haben die Norweger erst mit Mitte 20 ihren Wachstumsschub um ihre vielbesungenen Körpergrößen zu erreichen? Oder zieht es die zarten Norweger ans Schachbrett und die brachial großen Norweger in den Wald?
Aber am Brett ist Körpergröße bekanntlich wenig entscheidend, was war also los?
45 Züge lang lief alles glatt und ich konnte alle Versuche meines Gegners neutralisieren und der Computer sagt zur Stellung: „total ausgeglichen“. Im Endspiel hat er mich dann aufs Kreuz gelegt. Normalerweise heißt es ja „mit der Jugend ins Endspiel“, weil dort ihre Fähigkeiten eventuell noch nicht ausgereift sind – nun, für mich hat es heute gereicht. Eigentlich schade, hatte mir mit der Stellung mehr versprochen. Oder wie die Schachamöbe sagt: „Mit einer Zelle spielt sich jedes Endspiel schlecht“.
Hier die Partie (mit Engine-Evaluation) zum Nachspielen: https://chess24.com/de/watch/live-tournaments/oslo-chess-festival-2016/4/1/19

5. Runde

Die zweite Partie des Tages. Nach den 64 Zügen in der 4. Partie und nur einer kleinen Erholungspause in Form von Wandanstarren und Essen ging es weiter gegen einen weiteren „kleinen Norweger“. Mein Gegner schien ebenso geplättet zu sein, er hustete, schaute apathisch im Saal umher. Die Partie war ein Abbild unseres Zustands, wir stellten halbherzige Drohungen auf, die selbst ein aufmerksamer Rauhaardackel hätte entschärfen können. Oder ein gerissener Pudel an einem guten Tag. Und so tauschte sich immer mehr Material ab, die Stellung verflachte immer mehr.
Der Höhepunkt des Spiels war eindeutig die Krokantschokolade des Gegners (die in Rollenform, so wie Marabou). Leider entgingen meinem Gegner meine hungrigen Blicke und ich musste in feinstem Englisch um ein Stück bitten. Nach der Partie (ich bot Remis, er nahm ohne Zögern an) bekam ich ein zweites Stück, diesmal ganz ohne betteln. Schon sehr nette Menschen, diese Norweger. Oder?

6, 7 und 8. Runde

Gestern durfte ich gegen einen älteren Franzosen antreten. Er stellte sich mir auf deutsch vor, seine Mutter ist aus Deutschland und er in Frankreich geboren, die Mama hat mit ihm aber (auch) deutsch geredet. Die Partie war recht wild, auch weil ich an einer Stelle nicht den besten Zug, sondern einfach einen „der-geht-doch-irgendwie-auch“-Zug ausgewählt habe. Das brachte mich in meiner Skandinavisch-Variante unter immensen Druck und ich musste mich auf die Hinterbeine stellen, um nicht glatt zu verlieren. So konnte ich kleine und lästige Drohungen aufstellen, die meinen Gegner zunehmend beschäftigten und Zeit kosteten. Wir landeten schließlich in einem Endspiel, in welchem zwar mein Turm eingesperrt und damit passiv stand – dafür hatte ich eine aktive Dame und Läufer und seine Königstellung das passende Loch, um bei mangelnder Sorgfalt mattanfällig zu sein. Eine sehr komische Konstellation.
Heute dann wieder das Partie-Doppelpack, nur unterbrochen durch Atmen, Essen und … hmm nee, wieder Essen, ja.
Heute am Morgen gegen einen Jugendlichen gelost, ja, mein Weiß-Repertoire hat derzeit die Angriffswucht einer toten Drossel. Entsprechend frech spielt die Jugend dann, der alte Mann mit dem Bart aus Deutschland tut ja nichts. Das Ergebnis war dann ein Remis. Schokoladentechnisch war diese Runde allerdings nicht mit der Krokantschokoladenrunde vergleichbar.
Am Abend dann gegen einen weiteren Jugendlichen. Hier probierte ich eine Eröffnung aus, welche ich länger nicht verwendet habe – die sogenannte „Modern Defense“. Eigentlich keine schlechte Wahl, man laviert karpovesque vor sich hin und wartet, bis der Gegner (Achtung, hier ein Originalzitat der Lohmarer Legende Akstinat: „Irgendwann kotzt der Gegner seine DWZ aufs Brett“) Fehler begeht. Mein Gegner tat mir diesen Gefallen nur bedingt – ich konnte eine dynamische Stellung mit vielen Bauernhebeln und später auch einigen Opfermöglichkeiten erlangen. Nach meinem Springeropfer behielt der Gegner zunächst die Fassung und versuchte zu vereinfachen – am Ende sogar einen Vorteil zu erlangen, leider (für ihn) hatte seine Variante ein Loch. Gewonnen!

Morgen vor der 9. und letzten Runde schon ein Fazit bzw. Gedanken zur Nacht:

  1. Meine ELO-Zahl ist im Eimer (ca. 1900), gegen Jugendliche kann man nur verlieren, weil die so viel besser sind als ihre Zahl angibt
  2. Schachurlaub ist anstrengend und sollte als Arbeitszeit und nicht als Urlaub angerechnet werden
  3. Ich muss mir morgen wirklich dieses „Oslo“ anschauen – sonst hätte das Turnier auch in Hoyersverda oder Bad Salzdetfurth stattfinden können
  4. Organisation, Hotel und Bedingungen im Allgemeinen sind hier erstklassig und die Norweger ein nettes und entspanntes Völkchen. Hier fährt ein kleines Mädchen mit dem Tretroller völlig entspannt durch das Hotelfoyer. Versucht das bitte mal in Deutschland! Wer also eine Schachreise plant, von mir gibt es für Oslo 5 Sterne. Da steckt wirkich Herzblut hinter (konnte mit dem Organisator reden, Pål Nordquelle, netter Mann – und seine Kinder spielen auch beim Turnier mit)
  5. Ich muss dringend etwas an meinem Weiß-Repertoire feilen, die Jugend spielt allesamt d5 / e6 / Ld6 / Sf6 gegen mein Sf3-System. Schwierig, da etwas zu finden, was Vorteil verspricht. Habe mir viel in der Schachdatenbank angeschaut, das liegt mir dann einfach nicht.

9. Runde

Die Losungsfee wies mir erneut einen Fidemeister zu, ein Franzose meines Alters. Meine Hausaufgaben hatte ich brav erledigt und wusste, wie er mit den schwarzen Farben spielt. Also bereitete ich eine spielbare Variante vor. Wie das bei den Menschen so ist, oft kann man ihnen einfach nicht über den Weg trauen. Und so wich mein Gegner vom ersten Zug von meinem Konzept ab und spielte statt seiner seltsamen Pirc-Variante einfach Sizilianisch. So wird das aber nichts mit der deutsch-französischen Freundschaft. Tief aus den (bestimmt 3 oder 4 Bierdeckel) Tiefen meines Gedächtnisses kramte ich eine Variante mit b3 heraus, die ich mir vor Monaten angeschaut habe.

Nach wenigen Zügen musste ich allerdings feststellen, dass ich mich an gar nichts erinnern konnte. Und so stellte ich meine Figuren etwas hilflos und unkoordiniert auf, denn ich hatte keine Ahnung mehr, wo die Dinger in der Variante hingehören. Mein Gegner bekam eine nett spielbare Stellung, so ganz aufgegeben hatte ich die Sache aber noch nicht.

Und so kam es, dass sich der Franzose im weiteren Spiel (er dachte wohl das wird ein Spaziergang, pah!) etwas verstolperte und bei mittlerweile ausgeglichenem Spiel einen Bauern hergab. Der Herr Computer sagte dazu nach der Partie +1,3. Das heißt Weiß steht 1,3 Bauerneinheiten besser, keine Kompensation für den Bauern erkennbar. Das ist nicht gewonnen, aber etwas handfestes.
Der wirklich sympathisch wirkende Franzose bekam von mir einige Züge später ein Remisangebot, was er ablehnte (trotz Zeitnot und schlechterer Stellung). Und wie es so kam, am Ende verstolperte ich mich und er fing den ganzen Punkt.

Damit er was schönes mit nach Frankreich nehmen kann, erlaubte ich ihm die Ausführung eines schönen Matts am Brett. Wir lächelten beide und sprachen noch wenige Worte beim Verlassen des Saals. Eugene, Remisverweigerer, trotzdem netter Kerl.

Heute Abend war dann Preisverleihung, Quiz (es konnte ein von Magnus Carlsen signiertes Brett gewonnen werden), Buffet und DJ.
An den Preisrängen war ich … also … nicht … mal ansatzweise … nah dran

Fazit

Ein wirklich lohnenswertes Turnier, organisiert mit viel Freude am Schachspiel. Aber das hatte ich mit den Gedanken zur Nacht vor der letzten Runde schon festgestellt. Gerne wieder.
Dafür gibt es 8 von 8 möglichen Bauern auf meiner persönlichen Wertungsskala.