Christian Reinöhl hat diesen schönen Bericht verfasst:
Vom 08.06. bis zum 11.06.2023 fand in Lippstadt wieder einmal das Turm-Open statt – diesmal in seiner 39. Auflage. Die Organisation war wie üblich absolut perfekt, auch wenn man den Spielort verändert hatte und nicht mehr im sonnendurchfluteten dritten Stock eines Gymnasiums gespielt wurde (möglich, dass sich die Raucherlobby erfolgreich durchgesetzt hat, wer weiß das schon?), sondern jetzt im Erdgeschoss einer Realschule insgesamt 143 Teilnehmer in zwei Gruppen um Ruhm und Ehre kämpften. In der A-Gruppe zählte GM Lev Gutman als mehrmaliger Sieger früherer Turniere zu den drei Topfavoriten; an Nummer eins gesetzt war aber diesmal der siebzehnjährige Fidemeister Bogdan Bilovil, während an Nummer drei mit dem Lippstädter Eigengewächs Fidemeister Hussain Besou ein erst zwölfjähriger Junge für bewunderndes Erstaunen sorgte. Hussain Besou begann mit einer furiosen Siegesserie von fünf gewonnenen Partien hintereinander und überspielte dabei auch Gutman grandios (was dieser zum Anlass nahm, offensichtlich haltlose Betrugsverdächtigungen zu äußern – etwas bedauerlich, dass sich der Großmeister in seinem Frust dazu hinreißen ließ; er beschädigt dadurch das Bild von sich selbst als einem tollen Spieler und fairen Sportsmann, das er sich in seiner Vergangenheit aufgebaut hat). In der vorletzten Runde kam es dann zum Gipfeltreffen der beiden Jungspunde. Bogdan Bilovil hatte bereits einen halben Punkt abgegeben, konnte sich aber im direkten Duell durchsetzen. In der letzten Runde genügte ihm ein Remis, um nach Feinwertung ganz knapp die Siegespalme vor seinem Hauptkonkurrenten zu erringen, während Gutman ein weiteres Mal verlor und am Schluss nur auf dem siebten Platz einlief.
Unser Verein war mit fünf Spielern angereist: Zu Alberto Campos, Dieter Kinnert, Valentin Sejdini und mir, die allesamt schon Erfahrung mit dem Lippstädter Turnier hatten, kam diesmal auch noch unser Präsident Ewald Heck dazu. Wir wohnten zentral, genossen Sonne und gutes Essen und trösteten uns gegenseitig mehr oder weniger erfolgreich, wenn wir in den Partien Unsinn spielten, was leider häufiger passierte, als es uns lieb war. (Wahrscheinlich war die Hitze schuld… ganz sicher sogar, wenn ich so darüber nachdenke…) Mit Ewald als energischer Führungskraft, Alberto als vollendetem Gentleman, Valentin, der nicht nur ausgesprochen witzig ist, sondern auch besser als jedes Navi an fremden Orten führt und Dieter, der jederzeit die richtigen Worte findet und höchst angenehme Gesellschaft ist (mit der einen Ausnahme vielleicht, wenn er seine zu große Vertrauensseligkeit bemängelt, nachdem es ihn auf meinen Vorschlag hin in eine Pizzeria verschlagen hat, die nicht seine Begeisterung findet (((-; ), konnte ich mir keine besseren Mitstreiter wünschen – naja, schöner wäre es möglicherweise nur dann gewesen, wenn sich noch mehr Troisdorfer mit uns auf den Weg gemacht hätten (dies zur freundlichen Kenntnisnahme erwähnt; abendliches Kartenspiel zum Beispiel wäre noch eine Beschäftigung, die man anteilig ein wenig steigern könnte…).
Leider konnten wir alle nicht entscheidend auf den Turnierverlauf Einfluss nehmen. Immerhin spielte Ewald aber ein sehr solides Turnier und ein Sonderpreis wurde für ihn ausgelobt, weil er – was man im Alltag ja inzwischen fast vergisst, so sicher, wie er sich bewegt – sich trotz seiner Behinderung weiter dem Schach zugewandt hat. Alberto blieb als einer von wenigen Spielern ungeschlagen und, wie man ihn kennt, sowieso immer absolut einnehmend freundlich. Valentin konnte mehrere starke Spieler schachlich sehr unter Druck setzen und lieferte (für ihn in Lippstadt quasi schon Tradition) eine tolle Performance ab. Er steigerte seine DWZ- und seine Elozahl als einziger von uns deutlich, und das um gleich über 40 Punkte. Dieter haderte zwar zeitweise ein wenig mit seiner Verwertung von erfolgsversprechenden Stellungen, probierte aber immerhin all seine Gambits aus und sorgte mit zwei Siegen aus seinen letzten beiden Runden auch für einen persönlich versöhnlichen Abschluss. Ich selbst war auf Platz neun gesetzt und kam am Schluss auch genau dort an, hatte nichts verloren außer meinen Nerven und war doch ein wenig verzweifelt, weil sich mein Plan, meine Stellungen grundlos wegzuschmeißen, um sie anschließend stundenlang zu verteidigen, bis meine Gegner dann entweder ihrerseits patzten oder aus Respekt Remis boten, weder als besonders clever noch als besonders sinnig erwies, aber gut, ich hatte nun einmal damit angefangen, deshalb zog ich diese Taktik dann auch recht konsequent durch.
Die genauen Ergebnisse des Turniers findet man auf der Internetseite des Lippstädter Schachvereins:
Im Anschluss noch eine Partie von mir aus der ersten Runde:
Reinöhl – Lang
1. e4 c5
2. c3 e6
3. d4 cd4:
4. cd4: d5
Im Ergebnis kommt ein Vorstoßfranzose heraus, bei dem Weiß das Feld c3 für seinen Springer hat; daher gibt es mit Sicherheit bessere Möglichkeiten für Schwarz, auf 2. c3 zu reagieren (beispielsweise, wenn man schon mit 2. … e6 arbeiten will, eben 3. … d5).
5. e5 Sc6
6. Sf3 Db6
7. a3 Ld7
8. Sc3
Die schwarzen Figuren stehen relativ gedrängt.
8. … Tc8
9. Sa4 Dc7
10. b4 Se7
Besser wäre 10. … Sa5 gewesen (was mir völlig entging), aber Schwarz hat einfach kaum Platz, und auch nach 10. … Sa5 steht Weiß besser. 11. Ld3 Sc4 12. Sc5; Weiß hat laut Computer einen Vorteil von 0,9.
11. Lb2 a6
12. Ld3 Sg6
Der Favorit der Engine ist stattdessen 12… Sa7, was aber am grundsätzlichen Problem der schwarzen Stellung nicht viel ändert.
13. g3
Das Feld f4 wird überdeckt.
13. … Le7
14. h4
Die schwarze Stellung wirkt schon ziemlich perspektivlos. Der Versuch, sich zu befreien, ist natürlich, aber nicht besonders erfolgsversprechend. Der Computer votiert hier für 14. … b5 15. Sc3 Sd4: 16. Sd4: Se5:, was schon darauf hindeutet, dass Schwarz vor großen Herausforderungen steht.
14. … f6
15. h5 Sf8
Das Opfer auf e5, um überhaupt etwas Spiel zu kriegen, hilft nicht wirklich. 15. … Se5: 16. de5: fe5: 17. h6 g6 18. De2 und die schwarze Stellung ist durch den Materialverlust nicht besser geworden. Nach 15. … Sf8 macht die schwarze Stellung allerdings auch keinen Spaß. Jetzt werden die Felder weiter geschwächt und ein Pfahl in den schwarzen Königsflügel getrieben.
16. h6 g6
17. ef6: Lf6:
18. Sc5
Der Computer möchte an dieser Stelle eher 18. Tc1 sehen, aber ich war froh, meinen Springer aktiver stellen zu können. Die schwarze Stellung ist so passiv, dass sie hier ohnehin wohl schon verloren ist. Auf 18. Tc1 kann folgen 18. … Dd6 19. O-O Sd8 20. Sc5 Lc6 21. a4 Sd7 22. b5 und Schwarz verliert entscheidend Material.
18. … Db6
19. De2
Überdeckt den Läufer auf b2 und das Feld auf e5. Mir war allerdings noch nicht klar, wie ich gegen weiteres passives Spiel des Schwarzen vorgehen sollte, also zum Beispiel 19. … Kf7. Der Computer spricht sich in diesem Fall dann für 20. De3 Tg8 21. O-O Se7 22. a4 Sf5 23. Dd2 g5 24. Tac1 Lc6 25. Se5+ Le5: 26. de5: Tg6 27. g4 Sh6: 28. f4 mit überragender Stellung aus; aber ob ich diese Zugfolge auch nur annähernd getroffen hätte, steht natürlich in den Sternen.
19. … Sb4:
Immer, wenn ein Gegner von mir etwas opfert, bin ich völlig geschockt und verfluche mich erst einmal selbst… zumal, wenn er es mit so überlegenem Strahlen tut wie mein Kontrahent hier. Aber zugegeben, bei dieser Interpretation seiner Gesichtszüge handelt es sich wohl eher um meine Schockstarre und bloße Einbildung… Nach zwei Minuten beruhigte sich mein Puls und ich konnte wieder anfangen, klar zu denken. Dabei wurde mir klar, dass ich das Opfer ruhig annehmen kann, ohne grundlos Ängste hegen zu müssen.
20. ab4: Db4: +
21. Kf1
Natürlich nur so.
22. … Tc5:
23. dc5:
Der Computer spielte an dieser Stelle 23. La3 und freut sich über seine Stellungsbewertung. Ein Zug, über den ich tatsächlich drei Sekunden nachgedacht hatte… und den ich dann wegen 23. … Dc3 wieder verwarf. Die Computervariante geht weiter mit 24. Kg2! Ganz ehrlich: Hätte ich so gespielt, hätte ich es berechtigt gefunden, wenn mein Gegner mich des Computerbetrugs geziehen hätte. 24. … Ta5 25. De3 Dc7 26. Thc1 Dd8 27. Se5 und Weiß scheint ungefähr einen Turm im Vorteil zu sein, warum auch immer.
Nach 23. dc5: stehe ich zwar nur bei + 1,8, aber trotzdem kommt mir diese Zugfolge sehr viel menschlicher vor.
23. … Db2:
24. Db2: Lb2:
25. Tb1 La3
Der Computer votiert für 25. … Lf6, aber in diesem Fall bleibt der Bauer auf c5 riesig stark. Schwarz steht immer noch sehr passiv und hat vor allen Dingen auch einfach eine Qualität weniger.
26. Tb7: a5
Schwarz hätte den c-Bauern dann aber schon auch nehmen sollen.
27. Se5
Die Drohung Lb5 lässt sich gar nicht mehr verhindern, die Partie ist vorbei. (Und 27. Kg2 soll angeblich noch besser als 27. Se5 sein.)
27. … Lc5:
28. Sd7: Sd7:
29. Lb5 O-O
30. Ld7:
Na gut, in der nächsten Runde stand ich laut Computer im Endspiel bei – 7.3 und habe nicht aufgegeben (und am Schluss tatsächlich auch noch remisiert), aber da hatte ich trotz allem auch nur einen Bauern weniger und daher aus meiner zugegebenermaßen subjektiven Sicht auch noch das Recht, die Partie fortzusetzen. Eine Stellung mit Minusturm muss man (wenn man sonst nichts für den Turm hat) nach meinem Dafürhalten nicht zwingend weiterspielen, aber ich gebe zu, dass jeder Mensch seine eigene Methode hat und auch braucht, um mit dem Verlust einer Partie umzugehen, und es wäre unpassend, sich zu beschweren… zumal im Schach ohnehin deutlich unangenehmere Beschäftigungen existieren, als darauf zu warten, dass der Gegenüber sich geschlagen gibt und man seine Partie gewinnt.
30. … Tf2: +
31. Ke1 Tf3
Nach siebenminütiger Überlegung. (?)
32. Le6: + Kf8
33. Tf1 Tf1:+
34. Kf1: Le3
35. Th7:
Mein Gegner glaubte es mir. 1-0