Lippstadt-Open: Christian Reinöhl schaut zurück

Vom 30. Mai bis zum 02. Juni 2024 (also pünktlich zu Christi Himmelfahrt) fand das Lippstädter Turm-Open statt, und zwar schon in seiner 40. Auflage. Ganz so oft haben es wir Troisdorfer nicht dorthin geschafft, aber mittlerweile gehört es für uns quasi zum guten Ton, ein paar Spieler von uns dorthin zu schicken. Die Organisation funktioniert stets reibungslos und die Atmosphäre in Lippstadt ist unheimlich freundlich und offen, zumal, weil gleichzeitig das Stadtfest stattfindet, Sonnenschein herrschte und dieses Jahr auch noch ein riesiger Flohmarkt zur Wohlfühlatmosphäre beitrug. Dazu kam ein tolles Restaurant, das wir schon im letzten Jahr bevorzugt für unseren abendlichen Ausklang nutzten und das uns auch dieses Jahr kulinarisch überzeugte. Kurz: Wir kehren immer mit einem Sack angenehmer Erfahrungen wieder nach Hause zurück. 

Alles also wie sonst auch, wenn auch mit leichten Variationen: Gewonnen wurde das A-Turnier wie im Vorjahr sehr überzeugend von dem an Nummer 1 gesetzten IM Upadhyaya Anwesh,  der sich zwar den Luxus zweier Remisen leistete, aber insgesamt sehr überzeugend und brillant performte und am Schluss mit einem halben Punkt Vorsprung den ersten Platz alleine für sich in Anspruch nehmen konnte. In der B-Gruppe siegte genauso souverän Maximilian Bahr mit gleichfalls 6/7. Bedingt durch die hohe Teilnehmerzahl wurde diesmal sogar eine C-Gruppe eröffnet, in der am Ende Jürgen Rupprecht durch Feinwertung vor Benjamin Unruh ebenfalls mit sechs Punkten triumphierte. Was sonst noch gleich blieb: Valentin Sejdini spielte groß auf und sorgte für den emotionalen Höhepunkt aus Troisdorfer Sicht – dazu später noch mehr. Dieter Kinnert brachte wie üblich mal seine Gegner mit brillantem Spiel und unkonventionellen Gambits zur Verzweiflung (wie in der ersten Runde, als er einen deutlich höher eingestuften Gegner fast in den Wahnsinn trieb, bis sich dieser nach vielen Stunden Kampf doch noch in ein remises Endspiel retten konnte), begann aber manchmal auch an sich selbst zu zweifeln, weil seine Gambits zu Stellungen führten, die nicht leicht zu handhaben waren (aber er hatte es sich ja zum Ziel gesetzt, unter Opfer auf Angriff zu spielen, und zog das dann auch ziemlich konsequent durch). Unser Präsident Ewald Heck überzeugte mit solidem Spiel, verlor nur eine Partie und konnte stets alle Gegner mit einem Lächeln begrüßen und verabschieden. Tja, und Christian Reinöhl machte halt so viele Punkte wie immer, wenn er nach Lippstadt kommt, aber diesmal war ich damit sehr glücklich, weil es nach meiner letzten Horrorsaison bedeutete, dass ich tatsächlich zur Abwechslung auch ab und an ein Spiel gewinnen kann (ich hatte das für mich schon ernsthaft in Frage gestellt). 

Etwas anders lief es für Alberto Campos, der ja schon damit begonnen hatte, sich den Mythos der Unbesiegbarkeit aufzubauen – nach 16 unbesiegten Partien bei drei Turnieren in Folge war es am Schluss dann (sehr passend und symbolträchtig natürlich) der Deutsche Jugend-Vizemeister Jad Besou, der seine Serie beendete. Alberto trug es mit Fassung; dass der heute Achtjährige im nächsten Jahr wie sein älterer Bruder vermutlich die A-Gruppe aufmischen wird, steht schon heute so gut wie fest, und Alberto beendete das Turnier trotz der einen Niederlage mit sehr guten 4,5/7.

Nun zu Valentin: Andreas Schwarz wird es nicht gerne hören, aber ich war Zeuge folgenden Dialogs vor dem Turnier:

Andreas: “Ich weiß noch nicht, wen ich an Brett 1 setzen soll…”

Valentin: “Dann nimm doch mich.”

Andreas: “Tja, weißt du… schlag du doch erst einmal Gutman in Lippstadt, dann sehen wir weiter.” 

Andreas hätte natürlich wissen sollen, dass man Valentin nur einen konkreten Auftrag geben muss, schon kann man sich darauf verlassen, dass er penibel ausgeführt wird. 

Lev Gutman ist der Großmeister, der traditionell ebenfalls nach Lippstadt kommt und dort schon einige Male den ersten Platz abräumen konnte. Ich habe einmal gegen ihn spielen dürfen und ziemlich sang- und klanglos verloren (seufz), aber Valentin nahm sich die Aufgabe zu Herzen, und als er in der dritten Runde gegen ihn gelost wurde, sagte er zunächst nur “ich wusste es…”, überlegte sich dann, wie er seinen Gegner überraschen könne, und entschied sich am Schluss dafür, einfach mal zu schauen, wie Gutman auf die Bird-Eröffnung reagiere. Für mich war die dritte Runde nicht gerade ein Zuckerschlecken, ich wurde stundenlang von Jads Bruder Hussain gequält, der sich redlich bemühte, aus einer remisen Stellung einen Gewinn zu pressen und eben auch einfach viel besser als ich spielt (glücklicherweise war die Stellung so ausgeglichen, dass er es dann doch nicht schaffte, juhu…), aber während ich ziemlich nervös vor meinem Brett saß und mir überlegte, wie ich drohenden Gefahren, die überall zu lauern schienen, begegnen sollte, stapfte Valentin schon nach drei Stunden ganz entspannt durch den Saal (wie man es eben so macht, wenn man kaum nachdenkt und dann trotzdem siegt), und als ich ihn fragend anblickte, zuckte er bloß mit den Schultern und erklärte lapidar, er habe gewonnen. Seine Partie gegen den Großmeister hat Valentin schon kommentiert auf unserer Website veröffentlicht, ich will sie jetzt nicht noch einmal wiederholen, aber in einer Turnierpartie gegen einen echten Großmeister zu gewinnen, ist eine wirklich unglaubliche Leistung, die gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Gutman war beispielsweise Sekundant von Viktor Kortschnoi, als der 1980 gegen Karpow um die Weltmeisterschaft spielte – das heißt, er gehörte damals zu den profiliertesten und absolut besten Spielern der Welt. Später wurde er unter anderem fünfmal hintereinander Deutscher Schnellschachmeister, kurz, er weiß wirklich, wie man ein Schachspiel gewinnt.  Mittlerweile ist er, logisch, ein wenig älter, aber Valentin konnte ihm durchaus zeigen, dass man auch in Troisdorf Schach zu spielen versteht. Ein brillantes positionelles Bauernopfer sorgte dafür, dass Valentin eine uneinnehmbare Festung errichten konnte, und wie es dann manchmal so ist – weil Gutman nicht glauben konnte, dass ein Eindringen unmöglich war, versuchte er es dennoch und erlitt damit Schiffbruch. 

Die anschließende Analyse muss ganz witzig gewesen sein, weil Gutman zunächst nicht glauben konnte, Valentins Stellung sei sicher gewesen, und höchst erregt ob seiner Niederlage die Position als eindeutig gewonnen für ihn bezeichnete, aber Valentin hatte eben bei Ulis Training aufgepasst und hatte gespürt (gewusst?), nie Gefahr zu laufen, sein Endspiel zu verlieren. Am Schluss konnte er den nur anfangs murrenden, später etwas kleinlauteren Großmeister von seiner Sicht der Dinge überzeugen. 

Damit wurde die Geschichte vom SK Troisdorf jedenfalls um ein ziemlich glanzvolles Kapitel erweitert. 

Weitere Informationen zum Turnier finden sich auf der Website des LSV Turm Lippstadt unter lsv-turm-lippstadt.de. 

Hätten wir noch einen (vielleicht Karten spielenden ? ((-; ) Kollegen mehr, könnten wir uns noch weniger auf Schach konzentrieren und uns der Atmosphäre bei einer gepflegten Doppelkopfpartie hingeben; es sei an dieser Stelle mal erwähnt. So, wie es war, hatten wir, anstatt unsere Zeit sinnlos mit Zocken zu verschwenden, immerhin Ressourcen, um Werbung für unser eigenes Großturnier machen, das dann hoffentlich ähnlich überzeugend Wohlfühlatmosphäre und gute Stimmung erzeugt. Hätte jetzt noch Dortmund das Finale gegen Madrid gewonnen, wäre alles praktisch perfekt gewesen… naja, ein bisschen Luft nach oben kann ja auch nicht schaden – das werden wir dann in unserem Turnier sicher noch toppen (obwohl, fällt mir gerade auf, Champions League ist dann ja gerade nicht… na gut, dann müssen wir uns eben anstrengen, noch einen anderen emotionalen Höhepunkt zu finden… (((-; ). Jedenfalls war es eine sehr schöne Zeit in Lippstadt. Nächstes Jahr (das ist zumindest der Plan) soll es dann wieder dahin gehen, weil das Turnier wirklich großen Spaß macht.